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Müssen wir immer funktionieren?

In unserer heutigen Gesellschaft muss immer alles höher, weiter, schneller, schöner, mächtiger sein. Dabei gehen Sinn und das Wesentliche, das einfach nur Sein, völlig verloren.

 

Leider erlebe ich sehr oft, dass diese Lebensweise große, oft problematische Auswirkungen auf unsere Hunde hat. Denn auch sie werden in diesen Leistungs- und Optimierungs-Strudel hineingezogen und haben oftmals einen vollen Terminkalender, der eines Managers gleicht. Der Unterschied ist, wir Menschen haben die Möglichkeit aus diesem Strudel auszubrechen indem wir sagen „Stopp, es reicht!“. Unsere Hunde haben diese Möglichkeit nicht und müssen sich auf andere Art und Weise ausdrücken. Wie genau ist von Individuum zu Individuum sehr unterschiedlich. Die einen werden ganz still bis hin zur Resignation, die anderen werden ganz laut bis hin zum Beißvorfall (der übrigens in den meisten Fällen nicht „plötzlich“ passiert). Egal wie, ist das Maß voll, kann ganz schnell das Mensch-Hund-Team vor einem großen Problem stehen.

 

Darum lasst uns mal ein paar Gedanken durchgehen:

Wenn ihr in Ruhe über einen klassischen Spaziergang mit euren Hunden nachdenkt, wie oft kommt es vor das ihr „Nein“, „Hör auf“, „geh weiter“, „nicht dahin“, „pfui das ist ja grausig“, „da bleib“, „fuß“ oder ähnliches sagt? Wie oft sagt Ihr hingegen „ja mach nur“, „super da darfst du schnüffeln“, „lass dir ruhig Zeit“, „was hast du denn da Interessantes gefunden“, „ok wir schauen eine Runde“?

Unsere Hunde müssen ihr ganzes Leben nach unseren Vorstellungen richten, doch Ihre Bedürfnisse ausleben dürfen sie nur sehr selten. Jetzt sagen sicher einige: „das Leben ist kein Ponnyhof“, „der darf doch nicht tun und lassen wie er will, wo würden wir den da hinkommen“ oder „der Hund muss doch das tun, was ich möchte, sonst kann es ja nicht funktionieren“, „ich muss meinen Hund doch auslasten, der brauch ja Beschäftigung“. Müssen und brauchen unsere Hunde das wirklich immer?

Dass es Spielregeln, Grenzen und Benimmregeln gibt (natürlich in freundlicher und fairer Art und Weise erklärt), ist selbstverständlich aber darüber hinaus sollte er doch auch mal die Seele baumeln lassen dürfen, oder? Was spricht denn dagegen?

Ich war vor kurzem auf einem Seminar und durfte von dort einen genialen Spruch mitnehmen:

Wenn ich nur darf, wenn ich soll,
aber nie kann, wenn ich will,
dann kann ich auch nicht, wenn ich muss.

Wenn ich aber darf, wenn ich will,
dann mag ich auch, wenn ich soll,
und dann kann ich auch, wenn ich muss.

Denn merke: Die können sollen, müssen auch wollen dürfen.

Johannes Conrad

 

Lasst euch diesen Spruch durch den Kopf gehen. 😉

 

Hier komme ich gleich zum nächsten Punkt. Wisst ihr, welche Bedürfnisse euer Hund wirklich hat?

Braucht ein Bürohund am Abend wirklich noch einen vollen Terminplan mit Agility, Mantrailing, Begleithundekurs, Spielen mit Artgenossen usw.? Oder ist er sowieso schon glücklich und zufrieden, weil er den ganzen Tag mit euch mit war?

Sind Hüte-, Jagd-, Schutzhunde etc. wirklich immer und überall in ihrem ursprünglichen Job zu führen bzw. muss man sie besonders fordern, wenn sie „nur“ klassische Begleithunde sind?

Nur so viel dazu: ein Border Collie ist nicht 24 Std. im Einsatz und es gibt auch einen Winter. Ein Jäger ist nicht 24 Std. im Wald und es gibt auch eine Schonzeit.

 

Deshalb habt bitte kein schlechtes Gewissen, wenn es Tage gibt an denen ihr „nur“ mit euren Hunden Gassi geht und sonst nichts. Das reicht zwischendurch auch vollkommen aus.

So neben bei noch: Welpen benötigen bis zu 20 Stunden Schlaf und Ruhezeiten, erwachsene Hunde bis zu 15-18 Stunden. Schafft euer Hund das?

 

 

Probiert folgendes aus:

Setzt euch mit eurem Hund auf eine große Wiese und macht nichts. Wie lange haltet ihr das durch? Und jetzt nicht mit der Ausrede kommen: „mein Hund will ja weiter“ 😉. Gerade jetzt, wo es wieder wärmer wird, packt euch einen Rucksack mit Essen, Trinken und einem guten Buch und macht es euch mit eurem Hund gemütlich. Ihr werdet sehen, wie das viel verändern kann, nicht nur bei euren Hunden.

 

Oder geht mit eurem Hund vor die Haustüre und sagt: „jetzt darfst du den Spaziergang gestalten“. (Natürlich nur soweit, dass es keine Gefahr für euch und/oder andere darstellt!). Mit gestalten meine ich: dein Tempo, deine Schnüffeldauer, lustig im Bach herum hüpfen oder ganz banal die Vögel beobachten. Ich bin gespannt wie viele eurer Hunde euch erstmal fragend anschauen mit dem Blick: was wird das jetzt? Wenn ihr das aber öfter einmal mit einbaut, kann das eine Lustige gemeinsame Zeit werden.

 

Entschleunigung ist wichtig in unserem heutigen Trubel. Und wenn wir es unseren Hunden nicht vormachen, wie soll denn dieser das kennen lernen und auch umsetzen?

 

Ich wünsch euch viel Spaß beim Nichtstun bzw. Seele-baumeln-lassen!